Thursday, November 10, 2011

Happy Landing!

"Happy Landing!" säuselt On, die hübscheste alles süssen Stewardessen der Singapore Airlines Tom ins Ohr, als sie ihm seinen Platz in der Business Class mit einer leichten Verbeugung, einem perlenden Glas Champagner, einer Praline aus Brüssel und dem mildesten Lächeln der Welt zuweist.

Er betrachtet eine Weile ihren perfekten Körper unter der eng anliegenden Uniform der Airline während sie seine Ledertasche, die vollständig mit historischen Kofferaufklebern des Raffles Hotels Singapore beklebt ist, mit asiatischer Anmut in das Gepäckfach ueber seinem Sitz schiebt. Wie konnte er in dieser Schokoladenminute ahnen, dass "On Air" wie er die Stewardess spaäter schelmisch nennen würde, ihn Sylvester 2001 ins Hotel de Crillon in Paris einladen würde. Wie konnte er jetzt wissen, dass dieses Sylvesterfest in Paris sein Leben komplett durcheinanderwirbeln und ihn an den Rand eines tiefen Abgrundes bringen wuerde.

- "You travel a lot?" flötet On ihm ins Ohr während sie seinen Sitz zum Start in eine aufrechte Position bringt. Dabei berühren drei Finger ihrer rechten Hand leicht seine rechte Schulter und sie schaut ihm tief und lange in die Augen. Tom erwidert ihren Blick. Und lächelt zurueck. Er hat ein gutes Gefühl im Bauch. Seine guten Kontakte zum Al Thani Clan, der das Scheichtum Katar im Persischen Golf liberal beherrscht, haben ihm einen richtig fetten Auftrag beschert. Tom hat mitgeholfen, den Sender Al Jazeera - Die Insel - aufzubauen und nun mit seinem Kölner Team21 die herausfordernde Aufgabe übertragen bekommen, "Dohaland" in der Wüste Katars zu bauen, einen 8 Milliarden Dollar teuren Vergnügungs- und Freizeitpark mit gewaltigen Wasser- und Schneelandschaften!

Tom liegt in der Badewanne und denkt nach.

Über das Leben.

Süß ist es.

Er betrachtet seine Füße.

"Du hast schöne, zufriedene Füße", hat Ellen eben noch gesagt. Süß ist sie. Tom hat ihr nicht erzählt, dass ein Kölner Orthopäde seine Fuesse einmal ganz nüchtern mit "Grösse 44, Senk- Platt- und Spreiz" beschrieben hat.

Wenn er nun seine Füße, die links und rechts neben der kalt glänzenden Edelstahlarmatur auf dem Wannenrand ruhen, einer sehr sorgfältigen Prüfung unterzieht, muss er allerdings Ellen recht geben. Seine Füße sind schön!

Ihm gefaellt die schlanke, leicht geschwungene Form mit den ausgeprägten, aber sanften Rundungen der Knöchel und Zehen. Ja, seine Füße, die in den vergangenen Wochen schokoladenbraun geworden sind, signalisieren dem Kopf, der auf dem gegenüberliegenden Wannenrand liegt:

Hey, du bist zufrieden!

Tom hat spekuliert. Tom hat gewonnen. Mit superriskanten Call-Optionen hat er nach einer scheinbar endlos langen Talfahrt des US Dollar spontan auf einen steigenden US Dollar gewettet. Und so kommt es. Er hat seine Call-Optionsscheine vor zwei Wochen gewinnbringend verkauft. Sein Einsatz von 20.000 Dollar ist im handumdrehen mehr als verzehnfacht worden. 200.000 Dollar. Easy money. Wie geil. Wie grell. Wie galaktisch!!

Kasino-Kapitalismus nennt es Ellen.

Tom neigt jetzt ohne besondere Anstrengung den Kopf leicht zur Seite, blinzelt ein wenig, laesst die Augen langsam forschend hin und her wandern und haelt dann ruhig inne. So geniesst er durch den seidenen Schleier seiner starken Kurzsichtigkeit, die den tropischen Badepavillon, in dem er sich befindet, wie mit einem Weichzeichner verfremdet, Ellen’s dunkelbraunen, schlanken Körper hinter der Glasscheibe.

Er hat Ellen in Boom`s Cafe auf Koh Pagnan kennengelernt. Mit ein paar Whisky-Cola und einem dort für seine magische Wirkung einschlägig bekannten Pilzpfannekuchen haben sie sich in einer sternenklaren Vollmondnacht in Stimmung gebracht. Es bereit ihm jetzt großes Vergnügen, sich in dem wohltuenden Gefühl der Erinnerung an eine mystische Spanne Zeit zu baden, die irgendwann auf jener südthailändischen Insel in der Abenddämmerung begonnen und bis zum Morgenrot angedauert hat.

Während das milchige, warme Wasser seinen Körper sanft liebkost, muß Tom daran denken, wie Ellens Füße - die den seinen gleichen - sich unter dem Bambustischchen am Strand mit einer weichen aber gezielten Bewegung nach vorn in den feinen, weißen Sand graben und an die Sekunde, in der ihre Zehenspitzen die Seinen berühren. Später hatten ihre Körper, die vom Alkohol und der magischen Wirkung der Pilze im Lauf der Nacht wie schwerelos geworden waren, den Weg zum Meer gefunden. Die Fischer in den Hütten aus Bambus und Lehm hatten ihr Lachen hören müssen während Ellen und Tom nackt in den nachtschwarzen Ozean hinausgeschwommen waren.

Jetzt, in der Badewanne auf Bali, verdrängt Tom das unangenehme Gefühl der Übelkeit, den leichten Schwindel und die plötzliche Enge in der Kehle, die er kurz nach dem Verzehr des Pfannkuchens verspürt hat und der betörende Zauber jener Nacht faengt ihn wieder ein und durchströmt seinen Körper. Er schliesst die Augen und saugt den Duft der Frau ein, die neben ihm duscht und deren Geruch sich mit dem des Badewassers vermischt.

Tom bildet sich ein, Gerüche sehr genau unterscheiden und selbst winzigste Spuren eines Geruches erkennen zu können. Ein Buch, das ihn fesselt und nachhaltig beeindruckt ist "Das Parfüm".

Tom Traveller erinnert sich, während er sich nun in der Wanne aufrichtet, um nach dem kühlen, süßen Cocktail zu langen, an dieses Buch der Düfte des Lebens und des Todes und daran, dass er, als er es im Nachtzug von Bangkok nach Surat Thani gelesen hat, fasziniert von der Entdeckung gewesen war, daß es möglich ist, durch die bloße Beschreibung eines Geruches diesen wirklich wahrnehmen, ihn richtig riechen zu können! So hatte er eine genaue Vorstellung von dem Gestank der Fischköpfe und dem fauligen Abwasser auf den Märkten Asiens, von dem Duft der Lavendelfelder Südfrankreichs und dem Geruch der Frauen an ihrer Scham bekommen.

In jener Zeit hat er sich oft in die Gerüche seiner Kindheit zurückversetzt und gelernt, die silbrig-schleimigen Forellen aus dem Dorfbach von Welschen Ennest mit kristallklarem, kühlem Wasser, das dahineilt durch ein Bett aus geschliffenen Steinen, weiß und riesig wie prähistorische Eier wieder zu riechen wie auch das frische Heu und die warmen, dampfenden Kühe im Stall der Nachbarn, den Atem seiner Mutter und die Malerfarben seines Vaters.

Er zieht langsam einen Schluck der hellroten alkoholischen Flüssigkeit mit dem Strohalm in den Mund und belaesst ihn dort für eine Weile. Diese Weile reicht aus, den Geschmack von Rum, Curacao, Limonen, Orangen und Ananas zu erkennen und die Schleimhäute des Gaumens damit zu benetzen, ehe Tom das Gemisch in drei kleinen Schlücken in die Speiseröhre entlaesst.

Ellen drückt ihre Nase an die Glaswand, die Dusche und Bad voneinander trennt und sendet einen Kuß Richtung Badewanne, indem sie nun auch ihre geschlossenen Lippen an die Scheibe legt. Dabei berühren ihre Brustspitzen und ein Knie das feuchte Glas.

Tom erwidert ihren Kuß und prostet ihr zu. Er geniesst es, sie so zu betrachten. Ellen ist schlank, fast schon dünn und Meeresbiologin irgendwo in Kiel. Es erregt ihn, sie so hinter der Scheibe zu sehen, und er denkt an ihre erste Nacht im Wasser.

Es ist Vollmond. Tom hat anfangs keine recht überzeugende Erklärung für ein Phänomen, das die thailändischen Fischer (und Kieler Meeresbiologinnen : ) auf eine Algenart während einer bestimmten Meeresströmung, er eher auf die halluzinatorische Wirkung der "magic mushrooms" zurückführte. Als ihre nackten Körper in die dunkle Andaman Sea gleiten, verursacht jede ihrer Bewegungen eine Explosion von Lichterteilchen im Wasser, die wie Aquamarine funkeln, manche auch wie Diamanten oder Fischschuppen, die strahlend aufglühen um nach kurzer Zeit - vielleicht drei, vier Sekunden - wieder zu erlöschen. Milliarden von Wasser-Glühwürmchen, die bei einer Berührung all' die Energie freizugeben scheinen, die in ihnen steckt.

"Siehst Du das auch ?" fragt Ellen ungläubig verwundert und kindlich begeistert zugleich. - "Ja, ich seh' das auch", erwidert Tom, der gerade mit Armen und Beinen, Händen und Füssen eine glitzernde Korona um sich herum aufwirbelt und ein Phänomen von der Art zu sehen glaubt wie es Douglas Adams nicht besser hätte erfinden können: Zahllose fluouriszierende Wasserteilchen spiegeln das helle Mondlicht, die Milchstrasse oder ganz einfach das Universum wider. Es fasziniert Tom derart, dass er darüber beinahe Ellen aus den Augen verloren und es ihm fast - was die Aussergewöhnlichkeit dieses Ereignisses unterstreicht - die Sprache verschlagen hat.

Er hört sich schließlich im Zustand erweiterter Wahrnehmung wie aus einer großen Entfernung "geil...grell...galaktisch!" in die Nacht heraus rufen, während er Ellens Nähe sucht.

So schimmen, tauchen und flimmern beide eine zeitlang nebeneinander, ihre Haut kräuselt sich, und sie lachen und schweigen, verzaubert von der Unendlichkeit des Alls, das ihnen mit jeder ihrer Bewegungen "no limits" spiegelt, im Wasser und auf ihren Körpern, auf denen die Teilchen weiterglühen, bis sie in der warmen Luft trocknen und langsam erloeschen.

Nach Stunden unendlicher Glückseligkeit im salzigen, warmen Wasser, lassen sie sich mit der schwachen Strömung wieder an den Strand spülen. Es muß inzwischen früher Morgen sein. Kein Vogel, kein Ochsenfrosch, kein Gekko stört die Stille, als sich ihre Zehen wieder berühren und Ellens Lippen "komm" sagen. Mit einer kleinen Welle gleitet sie auf ihn.

Das Fünf-Sterne-Resort-Hotel galt unter Kennern als das wertvollste Juwel der Kette. Über 200 Quadratmeter totaler Luxus - pro Gast versteht sich - verteilt auf drei feine, kleine Pavillons aus den edelsten Hölzern der hiesigen Tropenwälder gefertigt und mit erlesenstem Marmor Europas verfeinert und von kreativen australischen Architekten lustvoll und - wie zufällig - vom Reissbrett in die grüne Hügellandschaft mit verschwenderischer Vegetation gestreut. Jeweils 40 der Pavillon-Gruppen ergaben ein Dorf. 170 balinesische Diener sorgten in jedem der vier Dörfer mit präzisem Service rund um die Uhr für exclusiven Komfort in absolut privater Atmosphäre. Ab 500 Mark pro Nacht war man dabei. Man konnte hier Wochen verbringen ohne je einen anderen Gast zu sehen. 80 Gärtner durchstreiften täglich das Gebiet, um der jungen Wildheit des von ihnen gerade erst angepflanzten Dschungels mit Buschmessern und Macheten Einhalt zu gebieten.

Es war feucht und heiß. Neben dem Badebungalow, in dem Tom Traveller soeben im Begriff war, den letzten Schluck "Mai Tai" zu schlürfen, und der Dschungel-Dusche unter freiem Himmel, in der Ellen gerade ihre Moskitostiche zählte, lag der zu jeder Villa gehörende Garten mit Wasserpflanzen, eigenem Pool, Orchideen, Farnen, Bananen, Palmen und einer Sonnenterrasse mit unvergleichichem Blick über die Bucht von Jimbaran, deren blendend weisse Strand, von seicht hereinrollenden Wellen geschaffen und schroffen Kalkfelsen gesäumt, Tom Traveller dazu inspiriert hatte, einen Roman zu schreiben.

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